Talkrunde in Kremmen: Stasi, Russen und Glücksritter
Mit der Frage, wie sie denn den Mauerfall erlebt hätten, eröffnete Bommert die Runde. Seine Familie sei im Wartburg zu Onkel Manfred nach Moabit gefahren, sagte Ingo Dubinski. „Es gab Tränen“, beschrieb er den emotionalen Moment. Nach einem Bänderriss beim Volleyball habe er mit Gips und „Bein hoch im Sessel gesessen“, erzählte Vereinssportler Uwe Feiler. Vor dem Fernseher habe er das Ereignis erlebt, berichtete Spargelbauer Winkelmann. Bereits ein Jahr davor habe er einen Ausflug in die ehemalige DDR gemacht. Es zog ihn später wieder dahin – und „wir sind da hängen geblieben“. Seine Laufbahn im Spargelgeschäft bezeichnet er als „Glück“. Gänzlich verschlafen hatte „Kalle“ Schröter den Abend. Weil seine Frau krank war, sei auch er um 20.30 Uhr zu Bett gegangen – ohne Nachrichten. Am nächsten Tag hatte er „das Sensationellste sei 28 Jahren“ zunächst nicht glauben können – bis ausgerechnet die Parteisekretärin seines Betriebes ihm die Ereignisse bestätigt habe. Erst die Nacht zum 11. November habe er dann in Berlin gefeiert. „Das war eine tolle Entschädigung für den verschlafenen 9. November.“ Und auch Bommert selbst hatte nach eigenen Worten die Maueröffnung wegen eines Videoabends verpasst und erst am nächsten Tag von seiner Mutter davon erfahren.
Für reichlich Gesprächsstoff sorgten seine Fragen nach dem persönlich besten und dem unerfreulichsten Erlebnis der Wendezeit. Glücklich zeigte sich Uwe Feiler, „nach 26 Jahren im Exil“ wieder in ostdeutsche Heimat zurückkehren zu können. Als Mitarbeiter der Finanzverwaltung habe er allerdings auch viele Glücksritter erlebt, „die eine schnelle Mark machen wollten“. Schröter erzählt die Geschichte, wie sich die von ihm mitbegründete SDP per Beschluss zur deutschen Einheit bekannte – und plötzlich nicht nur Mitglieder gewann, sondern auch Wahlen. Seinen Respekt drückte Winkelmann für die Ostdeutschen aus, weil diese sich sehr schnell umstellen mussten. Für Dubinski war es der Moment, als er ein lukratives RTL-Angebot ausschlug und lieber zum MDR ging. Lange erzählte er dann über die Hintergründe seiner Stasitätigkeit als „IM Diplomat“ und den daraus resultierenden Karriereknick. Seinen Freund habe er aber nicht verraten und mit 19 Jahren „meinen Kurs gefunden“ – und sich von der Stasi distanziert.
Privat und beruflich würde er nichts anders machen, bekannte, Uwe Feiler. Zumal das gar nicht ginge. Es gehe viel mehr darum, was in Zukunft geändert werden müsse – und das sei das „Auseinanderdriften von Stadt und Land“. Seine frühere Frisur brachte Ingo Dubinski ins Spiel. Einen großen Fehler der Wendegeschichte beschrieb Karl-Heinz Schröter (neben heiteren Anekdoten zur improvisierten Aufbauarbeit und dem Abzug des russischen Hubschraubergarderegiments in Oranienburg): „Ich halte den Grundsatz ,Rückgabe vor Entschädigung’ für falsch.“ Das habe die Wirtschaft behindert und zu vielen Dramen geführt. Im persönlichen Bereich sei seine Familie zu kurz gekommen. Dafür könne er sich nur entschuldigen. Jetzt jedenfalls sei er gern „Vollzeitopa“.
Quelle:
Talkrunde in Kremmen: Stasi, Russen und Glücksritter (maz-online.de)